Schnecken im Salat – Ostereier im Stroh

Erst nach Jahrzehnten, nachdem meine Kinder aus dem Haus waren und ich langsam anfing mich selbst wahrzunehmen, begann ich, über meine eigene Entwicklung nachzudenken.

Eigentlich bin ich in Wiesbaden aufgewachsen, doch gab es für meine Eltern immer wieder Gründe, mich für Tage oder auch Wochen zu meinen Großeltern zu geben. Oma und Opa wohnten außerhalb von Sonnenberg, heute würde man sagen ‚in einer Alleinlage‘, und hatten zur Selbstversorgung einen kleinen Bauernhof – mein Paradies.

Ich tobte mit meiner kleinen Ziege, spielte Nachlauf mit dem Schwein und genoss es, barfuß am Ententeich den Schlamm zwischen den Zehen hochquatschen zu lassen. Das Gefühl kann ich heute noch empfinden, und das positiv! Kartoffelkäfer lesen, Schnecken und Regenwürmer einsammeln, Grashüpfer fangen, Obst ernten und Eier suchen gehörten zu meinen gern ausgeübten Tätigkeiten, genauso wie Stall ausmisten und melken. Natürlich kletterte ich immer bis in die Spitze des Kirschbaums um die süßesten Kirschen zu erwischen. Und die große Brombeerhecke – schwarz verfleckt von oben bis unten habe ich stolz meinen vollen (?) Eimer meiner Oma gebracht. Auch bei der Kartoffelernte war ich als Kleinste ganz groß, denn ich bekam nicht so schnell Rückenschmerzen wie die Großen und konnte das Stöhnen der Großeltern am Ende des Tages damals gar nicht verstehen – DAMALS!

Im Grunde war ich meistens Selbstversorger, denn mit Erdbeeren, Mirabellen, Kirschen, Stachelbeeren, Johannisbeeren, Pflaumen, Äpfel, Birnen, Karotten, Kohlrabi, Karotten und Nüssen war ich von Mai bis Oktober tagsüber ausreichend ernährt, ergänzt mit lediglich einem Hausmacher Wurstbrot am Abend. Im Herbst wurden neben den Äpfeln und Quitten dann noch die Walnüsse geerntet, zum Trocknen auf große Bleche gelegt, die ersten allerdings musste ich natürlich gleich essen. Ich habe noch die schwarzen Finger in Erinnerung, die beim Abpulen der noch saftig grünen Schalen entstanden. Auch das bittere dünne gelbe Häutchen musste man entfernen, wenn man den vollen Genuss einer frischen Walnuss genießen wollte.

Nach der Obsternte kamen der große Einmachtopf und die unzähligen Einweckgläser mit den „Rex-Gummis“ zum Einsatz. Diese Rex-Gummis waren übrigens bei meiner Oma auch deswegen so beliebt, da sie ihre Strümpfe ganz ohne „Leibchen“ schön festhielten. Über Durchblutungsstörungen wusste man damals noch nicht so viel. Zusammen mit den rosafarbenen und hellblauen, aufgerauten, warmen Unterröcken waren sie ein besonderer Augenschmaus. Am liebsten mochte und mag ich heute noch den Quittengelee, aber auch alles andere war superlecker. Ich sehe die Regale im dunklen Keller noch immer vor mir, einfach zusammengezimmerte Holzteile, bestückt mit allem was das Jahr hergab, Obst und Gemüse Meter an Meter.

Und die aufregenden Tage des Schlachtens, welch Erlebnis! Während das Schwein seinen Schuss bekam, hat mich meine Oma immer abgelenkt, so dass ich erst dazu kam, als es auf dem Brühtisch lag. Ab diesem Zeitpunkt hantierten alle ziemlich schnell, denn die Wurst musste im großen Kessel gekocht und in Dosen bzw. den Darm gebracht, das Fleisch portioniert und gesalzen werden. Und ich, als Kleinste, bekam immer einen Ring Blutwurst, frisch aus dem Kessel, um den Hals gehängt. Ganz schön eklig, aber der Metzger bestand darauf, weil „das Tradition sei“. Gerne hantierte ich auch an der Dosenmaschine und fand es äußerst interessant, wie eine Maschine nur auf Zug an einem Hebel einen Deckel so umbiegen konnte, dass er fest auf der Dose saß und fast unbegrenzt dicht und haltbar hielt.

Diese Dosen wurden dann in einen ganz speziellen Vorratsraum geschichtet. Der Raum war in den Kriegsjahren gebaut worden, als man nicht so einfach, ohne Genehmigung schlachten durfte. Natürlich haben meine Großeltern es doch getan, wie alle anderen auch. Und deshalb wurde dieser Raum in eine Mauer zum Nachbarzimmer, über dem Bett der Großmutter gebaut. Und ich, als Kleinste durfte dann dort hineinkriechen und die zugereichten Dosen in Empfang nehmen. Ebenso war ich natürlich auch dafür zuständig, Vorräte herauszuholen. Es machte mir immer riesig viel Spaß in diesem kühlen, kleinen Räumchen, in gebückter Haltung zu hantieren.

Wenn gerade weder Ernte noch Schlachten usw. auf dem Plan standen, hatte ich natürlich unendlich Zeit für mich. Niemand kon­trollierte oder dirigierte mich, und mein „Spielplatz“ hatte weder Zaun noch Straßen weit und breit. So sammelte ich z.B. Weinbergschnecken, damals noch in Massen und unvorstellbaren Größen vorhanden, in meinem Sandeimerchen um Opa zu helfen, sein Gemüse zu schützen. Dass an einem solchen Tag meine Oma zu einem ungünstigen Zeitpunkt zum Abendessen rief und ich das volle Eimerchen im Salatbeet fallen ließ, rief am nächsten Morgen doch etwas Unmut bei Opa hervor. Aber das ist das einzige Mal, dass ich Kritik von ihm bekam, verständlicherweise. Ansonsten hat er mich einfach so genommen wie ich war. Als mich Caro, ein zugelaufener und scheuer, großer, schwarzer, zotteliger Hund, einmal gebissen hat, hat ihn mein Großvater vor Wut in den Keller getrieben und ihn dort erschlagen. Ja, Tiere hatten damals noch weniger Würde als heute. Noch ein zweites und drittes Erlebnis hatte ich zum Thema Tiere. Ich fand eines Tages einen wunderschönen Hirschkäfer, brachte ihn ganz stolz zu meinem Opa und er spießte ihn mit einer Nadel auf seine Käfersammlung! Tagelang hat der arme Kerl dort an der Wand in der Wohnküche gezappelt, es war schrecklich.

Auch die zahlreichen Katzen waren meinem Opa irgendwann mal wieder zu viel! Mehr sage ich dazu hier nicht. Auch solche Erlebnisse gehörten früher auf dem Bauernhof zum Alltag.

In der Nähe war ein kleines Wäldchen mit einer Eiche, die einen dicken Ast von ziemlich weit unten nach oben nur leicht ansteigend ausgebildet hatte und somit zu einem wunderbaren Kletterbaum geworden war. Dorthin ging ich zunächst natürlich zu Fuß, doch eines Tages erblickte ich Opas schwarzes Fahrrad unbeaufsichtigt. Also versuchte ich, dieses Ungetüm mit seiner lästigen Stange in Bewegung zu setzen. Nach einigen kleinen Stürzen hatte ich es auch raus: mit einem Bein unter der Stange durch, in unnatürlicher Schräglage und im Stehen strampelte ich über die Feldwege.

In diesen, für mich damals riesigen Wiesen baute ich mir oft eine Wohnung: ich sprang so  weit ich konnte ins hohe Gras, damit man den Eingang nicht sehen konnte, und trampelte dann Räume platt, in denen ich „Mutter und Kind“ spielte. Wer meine Kinder waren weiß ich gar nicht mehr, denn Puppen hatte ich dort ganz bestimmt nicht, vielleicht die Katzen?

Eine ganz besondere Bedeutung hatten für mich als kleines Kind schon Mohn- und Kornblumen. Früh musste ich lernen, dass die schönen Roten nicht für die Vase geeignet waren und ich pflückte nur noch Kornblumen um sie meiner Oma nach Hause zu bringen. Die Mohnblumen betrachtete ich mir dann immer am Feldrand sitzend und ganz vorsichtig anfassend.

Bis heute ist die orangerote Farbe der Mohnblumen meine Lieblingsfarbe, ebenso wie die Mohnblume selbst eine meiner Lieblingsblumen geblieben ist.

An Ostern konnte ich Ostereier in Ställen, im Stroh, zwischen dem Brennholz, hinter Obstbüschen oder oben im Baum finden, in der Winterzeit fuhr ich Schlitten und an warmen Sommertagen wurde eine Zinkwanne vor die Tür gestellt und ich hatte mein Planschbecken. Ja, die Jahreszeiten waren damals noch zuverlässig und langweilig war mir nie.

So sehen also meine Erinnerungen, kurz zusammengefasst, von meinen immer wiederkehrenden Besuchszeiten auf dem Bauernhof aus. Das Stadtleben dagegen, das ja eigentlich meine prägende Umgebung war, könnte ich bei weitem nicht derart detailliert schildern. Und wenn, dann wären diese Schilderungen ohne die Wärme und Liebe, die in all meinen oben genannten Worten stecken.

Also: Kinder-Bauernhof – UNBEDINGT – GANZ WICHTIG !!!!!!!!!!

Autorin Beate Hennig

Beate hat sich über die Beiträge zum Kinderbauernhof gedanken gemacht. Ich finde ihre Erinnerungen wundervoll und habe beim lesen alles an mir vorbeiziehen sehen. Dazu noch diese herrlichen Bilder….. Ich bin unglaublich gerührt und weiß gar nicht wie ich Beate für diesen gefühlvollen Beitrag danken kann ♥

 

 

 

 

 

tiere-auf-dem-weg-zur-krippe


6 Gedanken zu “Schnecken im Salat – Ostereier im Stroh

  1. Danke, liebe Elke,fürs Einstellen und Deine lieben Worte! Bin selbst gerührt, wenn ich es jetzt hier an neutraler Stelle lese. Und Danke auch noch einmal hier an dieser Stelle meinen wunderbaren Großeltern!

    Like

  2. Wundervoll geschrieben, man sieht alles lebendig vor sich und meint, verschiedene Gerüche und Geschmäcker wahr zu nehmen. Auch ich kann mich an einiges davon lebhaft erinnern. Laaaaange lange ist es her, manchmal kommt es mir vor wie ein anderes Leben. Alles war leicht, unbeschwert und aufregend. Gute alte Zeit halt, ich wollte in der heutigen Zeit nicht mehr Kind sein. Danke für die Erinnerung die du mit uns geteilt hast Beate 🙂

    Like

  3. Da fühle ich mich direkt in meine Kindheit versetzt. Schade, dass es das heute nicht mehr gibt.
    Anstelle der Natur ist leider heute das smartphone getreten, ein Armutszeugnis. Deshalb finde ich einen Biobauernhof sehr erstrebenswert.

    Like

  4. Oh ja, das ist ein schöner Wohlfühl- Beitrag, eine Erinnerung, an der ich teilnehmen durfte.Ich bin ein Wiesbadener Mädchen und in den Mauern der Stadt groß geworden. Junge Katzenerlebnisse allerdings,gerade wenn sie zu viel wurden,hat die Nachbarin schon eigenhändig in den Griff bekommen.Das hatte mir dann meine Klassenkammeradin erzählt bei der sie im Nachbarhaus wohnte.Also war mir das jetzt nicht neu und hat mich nicht so sehr erschreckt. Aber leider, lernte ich nie die Kartoffelkäfer kennen.Aber die Maikäfer ,die sich in dem kleinen Vorgarten unseres Mittelbaus doch jedes Jahr einfanden. Schön, ist alles erzählt und man fühlt sich wirklich in die Zeit versetzt durch die Details.Und die Liebe der Großeltern und den dadurch beschützten Lebensabschnitt eines kleinen Mädchens schwingt in jeder Zeile mit.Was für eine schöne Kinderzeit.Ich danke dafür,das ich es lesen konnte.

    Like

  5. Meine Erinnerungen an das Haus meine Grossmutter sind sehr ähnlich, nur das meine in Frankreich stattfanden, ich wohnte In Paris, die Oma aufs Land! Wunderbare Erlebnisse hier und dort, Deutschland, Frankreich, keine grosse Unterschied , jedenfalls ein schöner Text , der Nostalgie in mir weckte. Merci!

    Like

Sag was dazu....